Produktivitätsfortschitt >Arbeitszeitverkürzung oder bedingungsloses Grundeinkommen

„Wir leben in paradiesischen Zuständen“

Nie zuvor in der Geschichte waren die Menschen so gut mit Gütern und Dienstleistungen versorgt wie heute. Die Herausforderung ist: daraus etwas zu machen.

Ein Gespräch mit Götz W. Werner, Gründer der dm Drogeriemärkte, über seine Vision eines Gemeinwesens, in dem arbeitet, wer arbeiten will.





Frage: Mit der Arbeitslosigkeit steigt die Hilflosigkeit. Sie haben eine Vision, wonach sich die Probleme mit einer Kopplung aus Grundeinkommen und Konsumsteuer lösen ließen …

Götz Werner: Das ist das Ergebnis meiner Überlegungen – der Ausgangspunkt ist ein anderer: Wenn man über Wirtschaft spricht, muss man zwischen gesamt- und einzelwirtschaftlichen Aspekten, zwischen Volks- und Betriebswirtschaft unterscheiden. Das wird leider gern versäumt. Unter gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten geht es um das Gemeinwohl. Unter einzelwirtschaftlichen Aspekten müssen wir das Wohl eines Unternehmens, einer Arbeitsgemeinschaft im Auge haben. Da liegen die Probleme dann oft anders.


Einverstanden.

Noch grundsätzlicher gedacht, hat die Wirtschaft zwei Aufgaben. Die eine, die betriebswirtschaftliche Aufgabe, ist es, die Menschen mit konsumfähigen Dienstleistungen und Gütern zu versorgen – das gelang noch nie so gut wie heute, zumindest in den entwickelten Volkswirtschaften. Wir leben heute in einem Einkaufsparadies, das heißt, unsere Fähigkeit, Güter und Dienstleistungen hervorzubringen, ist größer als die Bedürfnisse der Menschen. Die andere, die gesamtwirtschaftliche Aufgabe ist, die Menschen mit Einkommen zu versorgen. 


Damit sie diese Güter auch konsumieren können?

Ja, sonst funktioniert Wirtschaft nicht. Nehmen wir einmal an, dass wir beide, weil wir so clever sind, die ganze Güterversorgung durch vollautomatische Fabriken sicherstellen könnten. Alles ist automatisiert, kein Mensch müsste mehr für die Herstellung dieser Güter arbeiten. Was müssten wir dann tun? Wir müssten die Menschen mit Geld versorgen oder mit Bezugsberechtigungen – Geld ist ja nichts anderes – damit uns die Menschen all unsere Produkte aus den vollautomatischen Fabriken abkaufen können. Und auch wenn eine solche Fabrik noch Utopie ist – genau dort steuern wir hin: Die Produktivitätsentwicklung hat die Bedürfnisentwicklung längst überholt, wir haben gesättigte Märkte, und wir brauchen immer weniger Menschen um dieses Übermaß an Gütern zu produzieren. Jetzt ist der Moment gekommen, in dem wir uns vom Zwang zur Arbeit befreien können.


Das könnte für viele, die gegen ihren Willen von der Arbeit befreit worden sind, zynisch klingen.

Weil wir immer noch in den alten Paradigmen festhängen: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“ Das steckt tief drin, das ist ein altes puritanisches Paradigma. Aber wenn wir genau hinsehen, haben wir uns längst davon verabschiedet. Die ganze Altersversorgung hebt darauf ab, dass die Menschen im Alter einen Anspruch haben, von der Gesellschaft versorgt zu werden. Wir zahlen Kindergeld, weil auch Minderjährige mit entsprechenden Gütern und Dienstleistungen versorgt werden sollen. Ein Teil der Bevölkerung wird über die finanzielle Arbeitslosenunterstützung und Sozialhilfe versorgt, ein anderer Teil muss nicht arbeiten, weil er von den geldlichen Früchten eines Vermögens lebt …


Konkret stehen 26,5 Millionen regulär Beschäftigten 20 Millionen Rentner, 5 Millionen Arbeitslose und 2 Millionen Bezieher von Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II gegenüber. Die Bezieher von Kindergeld oder Bafög sind da noch nicht mitgerechnet.

Und doch ist in unseren Köpfen noch immer verkoppelt, dass Einkommen aus Arbeit resultiert. Genau das müssen wir trennen: Das eine ist das Einkommen – und das andere ist, dass jemand unter uns lebt, der seine Talente, seine Fähigkeiten einbringt, um für andere zu arbeiten. 


Oder für sich?

Das ist das zweite Paradigma, von dem wir uns lösen müssen: der Irrglaube, man arbeite für sich und lebe von seinem geldlichen Einkommen. Zum einen entsteht das Einkommen nicht durch meine Arbeit, sondern dadurch, dass andere eine Leistung für die Gemeinschaft durch ihre Gegenleistung – vorübergehend durch das dazwischentretende Geld – honorieren, sei es bei brand eins, dm oder anderswo. Zum anderen kann ich von meinem Einkommen nicht leben – es sei denn, ich esse Euro-Scheine oder Kreditkarten. Ich bin darauf angewiesen, dass andere für mich arbeiten und konsumfähige Güter und Dienstleistungen herstellen, so dass ich Brot, Milch, Eier, Zucker oder Käse kaufen kann. 


Ist das nicht einfach nur eine andere Definition?

Oh, nein – was passiert, wenn eine Gemeinschaft nicht verstanden hat, dass es ihr besser geht, je mehr Menschen für andere tätig sind, haben wir wunderbar in der ehemaligen DDR beobachten können: Dort hatten die Menschen zwar Geld – aber es hat niemand für sie geleistet; deshalb waren die Läden leer. Erstaunlich, dass das den Leuten nicht aufgefallen ist, dass man von seinem Geld nicht leben kann, wenn niemand da ist, der die Regale füllt. 


Nun sind die Regale voll, aber es fehlt das Geld.

Das Geld ist nicht das Problem – das Problem ist, dass wir Geld, also Einkommen, immer mit Arbeit koppeln. Die alten Griechen waren da weiter: Ein normaler Grieche hat nicht gearbeitet – dafür hatte er seine Sklaven. Und unsere Sklaven sind die Methoden und Maschinen, die es uns erlauben, immer mehr Güter herzustellen mit immer weniger Arbeit. Wenn aber die Menschen nicht mehr arbeiten müssen, weil Methoden und Maschinen das zu einem immer größeren Teil erledigen – dann müssen wir sie eben mit Einkommen versorgen.

 

Nicht wer arbeitet, bekommt ein Einkommen, sondern wer anwesend ist: die alte Idee des Grundeinkommens.

Die Idee mag alt sein – aber erst heute sind wir in der Lage, sie umzusetzen. Erst heute haben wir solch paradiesische Zustände, dass die Wirtschaft mehr produzieren kann, als gebraucht wird. Noch vor 30, 40 Jahren konnte sie das nicht: Warum haben wir Gastarbeiter ins Land geholt? Warum haben wir klaglos auf einen VW Käfer zwölf Monate gewartet? Hätte beispielsweise die Wiedervereinigung nicht erst 1990, sondern schon 1970 stattgefunden, unter den gleichen Rahmenbedingungen, aber mit den produktiven Fähigkeiten der siebziger Jahre – dann hätten wir rationieren müssen. Dann hätten wir nicht aus dem Stand 17 Millionen Menschen versorgen können. Dann hätten wir massiven Mangel erleben müssen.


Auch wenn die Voraussetzungen nie besser waren – die entscheidende Grundeinkommens-Frage bleibt: Wer ist berechtigt?

Jeder, den ich sozusagen in meine Obhut nehme – ob als Familie, Kommune, Land oder Nationalstaat. Jeder, für den ich mich verantwortlich fühle.


Wer ist ich? Der Staat?

In diesem Fall ist es eine Gemeinschaft. Welche, kann ich willkürlich festlegen, wobei ich immer für das Subsidiaritätsprinzip eingetreten bin – also dafür, Verantwortung so weit als möglich in der jeweils kleineren Handlungseinheit zu belassen. Aber die Gemeinschaft könnte auch die Europäische Union sein. Oder die ganze Welt – das wäre der Idealfall.


Für den Anfang vielleicht ein wenig zu ambitioniert.

Natürlich. Aber wenn man es zu Ende denkt, könnte eine solche Globalisierung im Geiste der anzustrebende Fall sein: dass ich mich für den Ägypter so verantwortlich fühle wie für mein drittgeborenes Kind. So kann man Wirtschaft auch definieren: Sie hat die Aufgabe, den Mangel gerecht zu verteilen – in diesem Fall den weltweiten Mangel. Und wir dürfen nicht vergessen, dass wir hier in Europa klimatisch die besten Bedingungen haben, also produktiver sein können. 


Bleiben wir erst einmal in Deutschland: Wie soll das gehen mit dem Grundeinkommen?

Wir trennen Arbeit und Einkommen. Tatsächlich haben wir nur deshalb Arbeitslosigkeit, weil wir sagen: Wer nicht arbeitet, liegt dem anderen auf der Tasche. Hätten wir diese Vorstellung nicht, könnten wir sagen: Wir haben so und so viele Menschen und so und so viele Güter – und weil wir so und so viele Güter haben, können wir so und so viel Geld drucken und an die Menschen verteilen. Dann hat jeder sein Grundeinkommen. 


So viel zur Theorie. Und wo soll das Geld herkommen?
Nun kommen wir zur Steuerfrage. Das ist jetzt ein ganz neues Thema, aber beide Seiten hängen an ein und demselben Paradigma: Wer arbeitet, der hat Einkommen, und wer Einkommen hat, der kann leben – und deshalb koppeln wir die Steuerbemessungsgrundlage an das Einkommen. 


Dass das kein sinnvolles Prinzip ist, hat sich immerhin herumgesprochen: Deshalb haben die Steuereintreiber nun vermehrt Erbschaften und Vermögen im Visier.

Das ist keine neue Idee: Vor ein paar hundert Jahren, als es noch Leibeigene gab und das Einkommen kein Thema war, gab es zum Beispiel Dach- und Fenstersteuern – im Grunde eine Art Vermögenssteuer. Denn wer reich war und viele Fenster hatte und ein hohes Dach, der zahlte mehr Steuern als einer mit einer kleinen Hütte. Später, als es Einkommen gab, wurde das Prinzip übernommen: Wer mehr Einkommen hatte, zahlte mehr als der, der weniger Einkommen hatte. Aber das war noch zu einer Zeit, in der jeder einzelwirtschaftlich gearbeitet hat – nicht wie heute gesamtwirtschaftlich, also mit nahezu hundertprozentiger Arbeitsteilung. 


Was ändert das?

Der Beitrag des Einzelnen zählt nur im Zusammenspiel mit anderen. Je mehr ich als Einzelner leiste, je mehr ich mit meinen Talenten wuchere – desto höher ist der Ertrag für die Gemeinschaft. Und deshalb ist es fatal, dass wir ein Steuersystem haben, das sagt: Je mehr du durch deine Leistung beiträgst, desto mehr Steuern musst du bezahlen, und zwar progressiv. Unterm Strich bedeutet das: Wer den Willen hat, mehr für die Gemeinschaft beitragen zu wollen, der wird eingebremst. 


Das ist unerfreulich – aber auch Grundeinkommen kosten viel Geld. Woher nehmen?

Gehen wir auf die andere Seite, zum Konsum. Die Tatsache, dass Menschen konsumieren, führt zu jenen infrastrukturellen Notwendigkeiten, die eine Gemeinschaft finanzieren muss. Im Grunde hat die Steuer die Aufgabe, das Wertschöpfungsergebnis aufzuteilen – in jenen Teil, über den man privat verfügen kann, und in einen anderen, über den die Gemeinschaft verfügt, um das Gemeinsame zu organisieren. Oder anders gesagt: Der Einzelne muss zurücktreten von seinem persönlichen Konsum, damit die öffentliche Hand konsumieren kann. Das Interessante ist: Während wir auf der Steuerseite bei Mehrleistung Progression erleben – erleben wir auf der Konsumseite bei Mehrverbrauch Degression. Im Dutzend billiger, das kennen wir alle.


Vielleicht ein kleiner Ausgleich?

Eine schlichte Fehlsteuerung. Denn tatsächlich müsste es so sein, dass der Beitrag überhaupt nicht besteuert wird – und dass die Entnahme aus der gesellschaftlichen Wertschöpfung progressiv besteuert wird. Das heißt, immer dann, wenn jemand meint, er müsste in einem erhöhten Umfang Güter und Leistungen in Anspruch nehmen, dann muss er mehr bezahlen. Auch das ist kein neuer Gedanke: Wir haben längst Konsumsteuern. Aber das alles ist noch nicht so recht ins Bewusstsein gedrungen – und wir denken es nicht zu Ende: Wir sollten unser Steuersystem so weiterentwickeln, dass nur noch der Konsum besteuert wird, nicht mehr der Beitrag. Wer viel konsumiert, zahlt viel Steuern, wer sparsam lebt, zahlt wenig Steuern. Denn er benutzt auch weniger die Straße, die Flugplätze, verbraucht weniger Energie, produziert weniger Müll – er fordert der Gemeinschaft weniger ab.


Wenn aber der Konsum einzige Steuerquelle ist, sind doch die Bezieher kleiner Einkommen weit mehr betroffen als heute.
Dafür bekommen sie ein Grundeinkommen, und das muss so hoch sein, dass der einzelne Bürger davon zwar auf einem Minimum, aber menschlich leben kann. Und dass er damit natürlich auch die Mehrwertsteuer bezahlen kann.


Wie hoch müsste das Grundeinkommen sein?

Das ist wieder eine der Fragen, die die Gemeinschaft beantworten muss. Aber nehmen wir mal an, jeder Bürger in Deutschland hätte ein Grundeinkommen von 1500 Euro. Wenn dann alle sagten, prima, das reicht mir, und würden nur noch konsumieren, dann hätten wir, solange die Fischer-Wernersche Vollautomatisierung noch nicht erreicht ist, natürlich ein Problem. Aber davon müssen wir nicht ausgehen. Stattdessen wird es sehr viele Menschen geben, die sich sagen: Das Grundeinkommen ist mir gerade recht, aber ich habe noch eigene Ziele und Bedürfnisse – jetzt arbeite ich nicht mehr, weil ich muss, sondern weil ich will. Jetzt kann ich tun, was mir liegt, und muss nicht dort arbeiten, wo ich am meisten Geld verdiene. Jetzt kann ich dort arbeiten, wo man angemessen mit mir umgeht. Und wo Produkte erzeugt werden, mit denen ich mich identifizieren kann. Das wäre eine enorme Klimaveränderung im Sozialen. 


Glauben Sie, dass in einer solchen Welt noch jemand Kassierer in einem Drogeriemarkt sein wollte?

Aber sicher.


Warum?

Weil es viele Menschen gibt, die das gern machen. Ich rede viel mit den Leuten bei uns, und dann frage ich, wie es so geht, wie die Familienverhältnisse sind – und da gibt es eine Menge Menschen, die arbeiten, obwohl sie es gar nicht nötig haben. Die arbeiten, weil sie unter Menschen sein wollen, weil sie im Netzwerk sein wollen, wie wir heute neudeutsch sagen. 


Dennoch wird es Jobs geben, um die sich niemand reißt.

Und die werden wir entweder hoch bezahlen müssen – oder wir erfinden Maschinen, die sie erledigen. Es wird auch keine hitzigen Debatten um Wochenendarbeit mehr geben: Wenn jemand sonntags arbeiten will, dann arbeitet er sonntags. Die Menschen werden befreit von der Notwendigkeit zu arbeiten. Denn wir brauchen kein Recht auf Arbeit und keine Pflicht zur Arbeit – wir brauchen einen freien Willen zur Arbeit.


Ist die schöne Utopie in irgendeiner Form finanzierbar?

Wir erwirtschaften heute in Deutschland, in Europa schon so viel, dass alle überleben können. Schon heute werden alle Menschen mit Geld versorgt, entweder durch eigenes Einkommen, durch Vermögen oder durch Transferzahlungen. Das Geld ist nicht das Problem. Was das Problem ist, „das wahre Elend“, hat einer Ihrer Kollegen, Walter Wüllenweber, in einer herausragenden  Reportage aus der bildungsfreien Zone im »Stern« (52/2004) beschrieben: Wir haben kein Finanzierungsproblem – wir haben ein Kulturproblem.

Wir leben in Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“, in der wir dauernd abgelenkt werden und unseren Weg nicht mehr finden.


Fangen wir also an, das zu ändern. Wie?

Drei Schritte: die einkommensbasierten Steuern runterfahren, die Konsumsteuern hochfahren und Schritt für Schritt ein Bürgergeld einführen. Wenn wir etwa sagten, ab 1. Mai gibt es in der ersten Stufe für jeden 400 Euro Grundeinkommen, egal, ob er arbeitet, Rentner ist oder Sozialhilfe bezieht, dann hieße das, dass die Mitarbeiter in Ihrem Verlag wie bei uns 400 Euro weniger von uns bekämen – denn die bekommen sie jetzt durch das Grundeinkommen. Dafür müssten wir mehr Konsumsteuer einkalkulieren.


Und wie geht das weiter?

Das geht dann Schritt für Schritt, bis irgendwann die 1500 Euro erreicht sind und sich zum Beispiel eine unserer Kassiererinnen fragt, ob sie für 80 Euro mehr wirklich noch arbeiten soll. Wenn nicht, bleibt sie zu Hause – und der Platz ist frei für jemanden, der Spaß daran hat. Der beste Effekt dabei aber ist: Die Arbeit am Menschen wird endlich bezahlbar – also all jene arbeitsintensiven Aufgaben, bei denen wenige Maschinen und Methoden eingesetzt werden können. Denn ich muss der Krankenschwester keine 3000 Euro mehr bezahlen, sondern nur noch 1500 Euro. Und es ist auch kein Problem mehr, wenn ein Rentner weiter arbeiten will – soll er, denn er erhöht die gesellschaftliche Wertschöpfung. Seinen (Steuer-)Beitrag leistet er sowieso über den Konsum. 


Auch wenn das Sparpotenzial leicht vorstellbar ist, wenn nicht mehr ein riesiger Beamtenapparat über die Rechtmäßigkeit von Zuwendungen wacht – kann denn die Konsumsteuer für solch paradiesische Zustände wirklich ausreichen?

Das tut sie längst. Wenn wir es genau betrachten, dann zahlt schon heute nur der Endverbraucher wirklich Steuern. Denn ich als Unternehmer kalkuliere Steuern – wenn mir das nicht gelingt, macht mein Unternehmen Verlust, und ich bezahle erst recht keine Steuern. Ich behaupte: Alle Steuern, die wir heute im Unternehmensbereich bezahlen, seien es Vermögens-, Erbschafts-, Einkommens-, Gewerbe- oder Körperschaftssteuern, schlagen sich in den Preisen nieder. Allerdings könnte es eine interessante Übung für die demokratische Bewusstseinsbildung sein, wenn der Staatsanteil durch eine saubere Konsumsteuer einmal offenbar würde: Vermutlich hätten wir eine Quote von 45 bis 50 Prozent. 


Das klingt eher nach „sauber deklarieren“ statt nach neuen Paradigmen: In der Wirtschaft würde alles laufen wie bisher?

Sicher nicht, denn das Problem der einkommensbasierten Steuer ist auch, dass sie nicht am Ende des Wertschöpfungsstromes ansetzt, sondern dazwischen. Sie treibt sozusagen Knospenfrevel: Sie greift steuerlich schon zu, wenn das Produkt noch gar nicht fertig ist, an jedem Übergang – und das führt zu einer Menge Fehllenkungen. Weil die Steuer immer wieder in den Unternehmen zugreift, werden Maßnahmen ergriffen, die für das Wirtschaftsgeschehen eigentlich kontraproduktiv sind: Es wird gebaut, verbraucht, investiert – nur der Steuern wegen. Bei der Konsumsteuer dagegen wird nur das untergehende, das verbrauchte Produkt besteuert – das ist auch ein wichtiger Unterschied zur Ökosteuer: Die Ökosteuer wird nicht am Pol des Konsums, sondern am Pol der Erzeugung erhoben. Als wäre es kein Unterschied, ob ich mit dem Benzin einen Panzer betanke oder einen Krankenwagen.


Das heißt, auch die Konsumsteuer steuert: Was für das Gemeinwesen gut ist, wird niedrig, was nicht so gut ist, hoch besteuert?

So sollte es sein.


Und wer bestimmt, was gut ist und was nicht?

Der gesamtgesellschaftliche, parlamentarisch legitimierte Konsens.


Also die Regierung. Ist da nicht wieder Raum für jede Menge Ideologie?

Sicher, aber das ist doch immer unser Los. Entscheidend ist für mich, dass wir Methoden und Werkzeuge entwickeln, die möglichst wenige Kollateralschäden zur Folge haben. Dass der Staat Geld braucht, ist klar. Wenn er es aber auf eine Weise erhebt, dass dadurch Investitionsentscheidungen fehlgeleitet werden und Menschen ihren Beitrag nicht mehr leisten – dann ist das ein Kollateralschaden. Mit der Konsumsteuer sind diese Schäden geringer, es gibt keine Diskussionen mehr über Abschreibungen, die Bilanzen könnten viel transparenter, offener und damit rich-tiger sein. Und es müssten auch viel weniger Produktionen ins Ausland verlagert werden. Deutschland würde ein absolutes Steuerparadies – obwohl ich sicher bin: Die anderen würden schnell hinter den Trick kommen. 


Ist das für Sie eine langfristige Vision, etwa für das Jahr 2100?

Das ist auch eine Frage der Definition: Für mich ist Entwicklung ein diskontinuierlicher Prozess, der irreversibel in der Zeit verläuft. Entwicklung geht immer schubweise, das gehört zum Prozess. Es kann sein, dass die Zeit für eine solche Idee ganz schnell kommt. Als zum Beispiel Ende der dreißiger Jahre Ludwig Ehrhardt das Konzept der sozialen Marktwirtschaft entwickelte, hätte keiner gedacht, dass schon 1948 die Zeit für diese Idee gekommen ist. Aber es war entscheidend, dass es dieses Konzept bereits gab. Das gilt auch heute: Wir müssen die Dinge in die Zukunft denken, die Zukunft antizipieren, heute schon die Antworten auf die noch offenen Fragen finden. Und wenn es so weit ist, ein durchdachtes Konzept zur Verfügung haben. –

 

Götz W. Werner

Er sei Zahnpasta-Verkäufer, sagt er von sich selbst. Und umschreibt damit in schöner Bescheidenheit, dass er nicht nur eine der erfolgreichsten Drogeriemarkt-Ketten aufgebaut, sondern auch bewiesen hat, dass Erfolg haben kann, wer sein Unternehmen als „soziale Skulptur“ begreift – nicht als Selbstversorgungsbetrieb. Seit dem Wintersemester 2003/2004 gibt Werner seine Erkenntnisse an den Nachwuchs weiter: Er leitet das Interfalkutative Institut für Entrepreneurship an der Technischen Hochschule Karlsruhe. Werner ist verheiratet und Vater von fünf Kindern.

 

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