Agrarsubventionen führen zu Hunger

(c) DIE ZEIT 14.08.2003 Nr.34 - 14. August 2003 

http://www.zeit.de/2003/34/Baumwolle_2fBurkina 

Der Norden sät den Hunger 

Baumwolle aus Burkina Faso ist besser als amerikanische Ware – und viel billiger.  Trotzdem beherrschen US-Farmer den Weltmarkt. Ein Lehrstück über die globale Wirkung von Agrarsubventionen 


VON WOLFGANG UCHATIUS 

Mit den Werkzeugen Afrikas, der kurzen Hacke und dem von mageren Ochsen 

gezogenen Pflug, bricht Yiribaté Dabou die Erde auf. Dabou, der Bauer. 28 Jahre 

ist er alt, abends isst er Maisbrei, nachts schläft er auf dem Lehmboden, tags 

arbeitet er auf seinem Acker unter der Sonne. Dabou lenkt die Ochsen, seine 

Brüder führen den Pflug, die Frauen und die Kinder streuen das Saatgut in die 

Erde, die Malaria-Mücken zerstechen ihnen den Rücken. Darauf achten sie nicht. 

Dabou achtet auf das Wetter. Die Wolken sind gut dieses Jahr, sagt er. Der Regen 

kam früh, er fällt reichlich, in ein paar Monaten werden die Sträucher mannshoch 

auf dem Acker stehen, so dicht wie selten, und der Acker wird nicht grün sein, 

sondern weiß. Dicke Wattebüschel werden an den Zweigen hängen wie warmer 

Schnee. Tage- und wochenlang werden die Männer und die Frauen und die 

Kinder die Baumwolle pflücken, den Rohstoff für die Hemden, Hosen, Jacken, 

Socken, Handtücher, Bettlaken und Waschlappen der Welt, die Ernte des Jahres 

2003 in einem kleinen Staat in Westafrika, der sich Burkina Faso nennt, Land der 

Aufrechten. Es wird eine gute Ernte sein. 

Dabou wird fast kein Geld dafür bekommen. 

Am frühen Morgen des 13. Mai 2002 nimmt im reichsten Land der Erde der 

mächtigste Mann der Welt einen Füller zur Hand. George W. Bush hat im Raum 

450 des Dwight D. Eisenhower Executive Office Building in Washington eine kurze 

Rede gehalten, ein wenig gescherzt, jetzt wird er die Farm Bill unterzeichnen, das 

neue Agrargesetz der Vereinigten Staaten. Per Unterschrift wird er 180 Milliarden 

Dollar ausgeben. Diesen Betrag sollen die amerikanischen Bauern in den 

kommenden Jahren von der amerikanischen Regierung als Subventionen erhalten. 

Schon Bushs Vorgänger Bill Clinton hatte insbesondere die Baumwollfarmer 

reichlich bedacht. Jetzt können sie weiterhin mit jährlich mehreren Milliarden Dollar 

rechnen. 

„Die Farm Bill hilft Amerikas Bauern, und deshalb hilft sie Amerika“, sagt Bush 

an diesem Morgen, und Radio Farm überträgt jedes seiner Worte live bis nach 

Texas, Georgia und Alabama, hinaus auf die Baumwollfelder. Mit den Werkzeugen 

Amerikas, der panzergroßen Erntemaschine und dem von Computern navigierten 

Traktor, fahren dort die Männer auf die Äcker. Die bemerkenswerten Apparate 

wecken die Illusion von Rentabilität.

Auf einem freien Weltmarkt hätten die amerikanischen Bauern keine Chance, 

vor allem nicht gegen die Afrikaner. Die sind zwar nicht besonders gut, wenn 

es darum geht, Autos oder Computer zu bauen, aber sie können kostengünstig 

Baumwolle produzieren. Die preiswerteste landwirtschaftliche Maschine ist immer 

noch der Mensch, jedenfalls, wenn er zum Arbeiten nichts braucht als ein, zwei 

Schälchen Mais am Tag. Nach Berechnung des International Cotton Advisory 

Committee (ICAC) in Washington produzieren die Bauern in Burkina Faso ihre 

Baumwolle dreimal billiger als die Bauern in Amerika, und weil die Afrikaner die 

weiße Watte mit den Händen von den Sträuchern zupfen, ist sie auch noch von 

besserer Qualität als cotton USA . 

Um 7.57 Uhr kratzt der Füller über das Papier. Der Präsident hat unterzeichnet, 

der Staat wird zahlen. In weniger als einer Sekunde hat George W. Bush dem 

weltweiten Drama, das Globalisierung heißt, einen weiteren Akt hinzugefügt. 

Angetrieben von den staatlichen Geschenken, exportieren die amerikanischen 

Cotton-Farmer heute mehr Baumwolle als je zuvor in der Geschichte, mehr als 

jedes andere Land. Mehr, als die Textil- und Bekleidungsunternehmen in aller Welt 

verarbeiten. 

Das Überangebot hat eine simple ökonomische Folge. Der Weltmarktpreis 

der Baumwolle fällt. Im Sommer 1995 lag er noch bei weit über einem Dollar 

pro Pfund, später bei 90 Cent, dann bei 80, 60, 50 Cent. Ende 2001 fiel der 

Preis auf unter 40 Cent und war, inflationsbereinigt, so niedrig wie seit der 

Weltwirtschaftskrise vor 70 Jahren nicht mehr. Heute liegt er noch immer weit unter 

dem langfristigen Durchschnitt von 70 Cent. Laut ICAC wird er in den kommenden 

Jahren kaum steigen. 

Für Baumwollbauern rund um die Welt ist das so, als habe ihnen eine ominöse, 

höhere Macht ihr Einkommen halbiert. Nur die 25000 Baumwollfarmer in den USA 

müssen sich nicht sorgen. Zwar haben sie den Preisverfall maßgeblich verursacht. 

Aber obwohl sie weltweit zu den ineffizientesten Produzenten gehören, haben sie 

unter ihm nicht zu leiden, denn sie bekommen ihr Geld vom Staat. Im Jahr 2002 

waren es 3,9 Milliarden Dollar, doppelt so viel wie 1992, dreimal so viel wie die 

gesamte amerikanische Entwicklungshilfe für 500 Millionen Afrikaner. 

Burkina Faso ist ein Land am Rand der großen Wüste. Der Rand bewegt sich. Von 

Norden her frisst sich die Sahara heran. Feuchte Erde verwandelt sie in trockene 

Erde, und trockene Erde verwandelt sie in Sand. Dann ist es für die Menschen Zeit 

zu gehen. Jedes Jahr machen sich Tausende auf den Weg. Sie schnüren Töpfe, 

Kleider und Kochlöffel in Plastikbahnen, quetschen ein paar Hühner in winzige 

Holzkäfige und zwängen sich in rostige Busse, die auf Staubstraßen nach Süden 

holpern, in eine Gegend des Landes, wo wenigstens im Sommer Regen fällt, wo 

Bäume stehen und die Felder Früchte tragen. Wo die Baumwolle wächst.

Wie Termitenhügel ragen die erdfarbenen Lehmhütten aus dem Boden, und in der 

Luft hängt der Geruch von verbrannten Ästen und Zweigen, die Öl, Gas, Kohle und 

Strom gleichzeitig ersetzen. 

Burkina Faso ist nur etwa so groß wie der westliche Teil der Bundesrepublik, 

trotzdem ziehen sich mehrere Zeitzonen durchs Land. In der Hauptstadt 

Ouagadougou mit ihrem Präsidentenpalast und den zweijährlichen Festspielen 

des afrikanischen Films sitzen französische Geschäftsleute in Restaurants mit 

europäischen Preisen, und neben ihnen liegt ihr Laptop. Dabou, der Bauer, 

aber lebt im 19. Jahrhundert, in einer Welt, in der die Lebenserwartung 46 Jahre 

beträgt und drei von zehn Kindern vor ihrem fünften Geburtstag sterben. In der die 

Menschen vor allem mit einem beschäftigt sind: Überleben. 

Die Baumwolle, einst von den Kolonialherren ins Land gebracht, eignet sich 

dafür besonders gut. Denn die Baumwolle ist das Einzige, was Bauern wie 

Dabou verkaufen können. Richtig verkaufen. Nicht so wie die paar Eier oder 

das bisschen Gemüse, das die Kinder am Straßenrand den vorbeifahrenden 

Autos entgegenstrecken. Sondern zentner- und tonnenweise, eingeschnürt in 

Plastikballen, abtransportiert von den schweren Lastwagen der halbstaatlichen 

Baumwollfirma Sofitex. 

Deren Mitarbeiter kaufen den Bauern den Rohstoff ab, um ihn dann zu exportieren. 

Ist der Weltmarktpreis hoch, zahlen sie viel, ist er niedrig, zahlen sie wenig. Zurzeit 

zahlen sie sehr wenig. So stellen sie die Verbindung her zwischen dem 21. und 

dem 19. Jahrhundert, zwischen Bush, dem Präsidenten, und Dabou, dem Bauern, 

die nichts voneinander wissen, weil der eine, als er die Farm Bill unterschrieb, 

an Amerika dachte, während der andere denkt, der niedrige Baumwollpreis sei 

ebenso unerklärlich wie eine langjährige Dürre. Er klagt, er verzweifelt, er fügt sich. 

Dabou ist ein kleiner, magerer Mann in gelbem T-Shirt und löchrigen Levis- 

Jeans. Andere Bauern tragen Nike- oder adidas-Hemden, die irgendjemand 

irgendwo in Asien oder Lateinamerika zusammengenäht hat, womöglich aus mit 

afrikanischer Baumwolle produziertem Stoff. Irgendwann kamen sie dann, benutzt 

und abgetragen, aus Europa oder den USA nach Burkina Faso, als Kleidung für 

einen Menschen, der in einer Großfamilie mit 30 Leuten lebt, der Maskenfeste 

feiert und lange verstorbene Ahnen verehrt. Der, seltsam schizophren, ein 

vorkapitalistisches Leben lebt, das von nichts so bestimmt wird wie vom Geld. 

Von dem, was er für die Baumwolle bekommt, muss Dabou seine Schulden für 

den Dünger, das Saatgut und die Schädlingsbekämpfungsmittel begleichen. 

Früher blieben ihm dann 300000 westafrikanische CFA-Franc, das entspricht 

einem Gewinn von 1,20 Euro am Tag. Damit kaufte er das Essen für die Familie, 

zahlte das Schulgeld und die Medikamente für die Kinder, die der Durchfall und die 

Malaria plagt, und hatte dann immer noch genug übrig, um hin und wieder mit den 

übrigen Männern einen trinken zu gehen. 

Mitte der Neunziger, als die Baumwolle auf dem Weltmarkt hohe Preise 

erzielte, sank die Armutsquote in den Dörfern laut Berechnung der 

Weltgesundheitsorganisation innerhalb kurzer Zeit um zehn Prozent. Damals

ernährte das Geld, das die Bauern verdienten, nicht nur ihre Familien, sondern 

auch die anderen im Dorf. Menschen wie Nabéré Traoré, die Wirtin, die in einer 

Baracke zwischen den Lehmhütten Hirsebier und Coca-Cola verkauft und Reis mit 

Fleisch auftischt. 

Oder Konaté, den Schmied. Eisen schlägt er zu Pflugscharen, und sein Stolz 

ist eine handbetriebene Sämaschine, die er selbst konstruiert hat und jetzt den 

Bauern zum Kauf anbietet. 

Oder Dao, den Landarbeiter. Das Feld seiner Eltern ist so klein, dass es nicht 

zum Leben reicht, deshalb leihen sie ihn aus an andere Bauern, denen er mit 

gebeugtem Rücken das Unkraut aus dem Acker kratzt, für einen halben Euro am 

Tag, das entspricht einem Kilo Reis. In den guten Jahren konnten ihm die Bauern 

das zahlen. 

Damals haben sie sogar eine Schule gebaut, aus Beton, gelb und orange 

gestrichen. Zwei kleine Klassenzimmer haben sie fertig bekommen, und 

wenigstens die jüngeren Kinder müssen jetzt nicht mehr stundenlang laufen, bis 

zum Unterricht. Für das dritte Zimmer hat das Geld gefehlt, denn dann begann der 

Baumwollpreis zu fallen. 

Seit Beginn des neuen Jahrtausends sind die guten Jahre vorbei, und dieses ist 

das schlechteste, an das sich die Bauern erinnern können. 

Irgendwann vor ein paar Jahren begriff François Traoré, dass der Weltmarkt 

anders ist als der Regen und von Menschen gemacht. Bis dahin war ein Wort 

wie „Amerikaner“ für ihn ein anderer Name für weiße Menschen in großen 

Geländewagen. Die kamen in die Dörfer, um den Bauern zu erklären, wie sie am 

effizientesten ihren Acker bewirtschaften könnten. François Traoré war einer dieser 

Bauern. 

Heute ist er ein 50-jähriger Mann mit sorgfältig rasiertem grau melierten Bart. Er 

hat auf Konferenzen in Washington, Paris und Berlin gesprochen. Er hat einen 

Fahrer. Er hat einen Assistenten, der Ökonomie studiert hat. Er sitzt unter einem 

sirrenden Ventilator in seinem Büro in der Stadt. Alle paar Minuten läutet sein 

perlmuttfarbenes Handy, auf das er nicht hört, weil er mit lauter Stimme erklärt, 

dass die Baumwollbauern nicht mehr verlangten als die Chance, sich durch ihrer 

Hände Arbeit aus der Armut zu befreien. Dann hält er doch inne, flucht, nimmt das 

Gespräch an, erteilt ein paar Anweisungen, beendet es und führt den Satz fort. 

François Traoré ist ein Mann, der anderthalb Jahrhunderte übersprungen hat. 

Als er 16 war, nahmen von Mücken übertragene Wurmlarven seinem Vater das 

Augenlicht. Flussblindheit heißt die Krankheit. Der junge François war auf einmal 

verantwortlich für die Eltern und acht Geschwister. Er führte die Familie durch die 

Savanne, bis sie ein Stück fruchtbares Land fanden. Dort baute er Baumwolle an, 

und er legt Wert darauf, dass er das noch immer tut. Dass er ein Bauer geblieben 

ist.

Er deutet auf seine geröteten Augen und sagt, in den vergangenen Nächten 

habe er kaum geschlafen, in jeder freien Minute sei er auf dem Acker gewesen. 

Aber die Art, wie er das sagt, wie er versucht, das Bild zu beeinflussen, das man 

sich von ihm macht, zeigt, dass ihm andere Dinge längst wichtiger sind als seine 

Baumwollsträucher. Er will Politik machen. 

François Traoré ist Präsident des UNPCB, des Verbands der burkinischen 

Baumwollbauern. Der Erste seiner Art, denn es gibt den Verband noch nicht lange. 

Traoré hat ihn mit aufgebaut. Ihm schien es ein Unding, dass die Baumwollbauern 

keine politische Stimme haben in einem Land, in dem fast jeder Fünfte von der 

Baumwolle lebt. 

Heute heißt es von Traoré, der als Kind sechs Jahre lang zur Dorfschule ging, 

und das war alles, er müsse nur beim Präsidenten um ein Treffen bitten, dann 

bekomme er es. Mit Baumwollbauern aus den Nachbarländern Mali, Benin und 

Tschad hat er einen Appell formuliert und das Ende der Subventionen gefordert. 

Ein französischer Missionar hat den Text ins Internet gestellt. Es entstanden 

Kontakte zu Hilfsorganisationen wie Oxfam oder Brot für die Welt, die Studien 

erstellten und Pressekonferenzen organisierten. Traoré war beim Kirchentag in 

Deutschland, bei der Weltbank und beim ICAC in Amerika, das ausgerechnet hat, 

dass der Baumwollpreis um 25 Prozent steigen würde, wenn die Amerikaner auf 

die Subventionen verzichteten. 

Traoré glaubt sogar, das sei durchsetzbar. Dass der amerikanische Präsident auf 

die afrikanischen Bauern Rücksicht nehmen werde. „Es wird nur Frieden geben, 

wenn die Großen auf die Kleinen hören, die Reichen auf die Armen.“ So einfach 

sei das. 

Sie hat sich schnell verändert, die einst winzige Welt des François Traore. 

Vielleicht ist das der Grund, dass er glaubt, auch die große Welt werde sich bald 

wandeln. Er denkt schon über die Zeit nach dem Ende der Subventionen nach. 

„Was hat denn Ihr Hemd gekostet?“ 

Das Hemd? Vielleicht 30 Euro. 

„Sehen Sie. Ihr Hemd wiegt etwa 200 Gramm. 200 Gramm Baumwolle. Das 

bringt uns auf dem Weltmarkt, sagen wir, 25 Cent. Ohne Subventionen wären es 

vielleicht 32 Cent. Das würde den Bauern schon enorm helfen. Aber um richtig 

Geld zu machen, müssten wir anfangen, in Burkina nicht nur die Baumwolle zu 

produzieren, sondern auch die Hemden.“ 

Es wäre der Weg ins 21. Jahrhundert. 

Mitte Juni 2003 steigt in Anzug und Krawatte ein Mann in ein Flugzeug und fliegt 

von der afrikanischen Savanne in den europäischen Frühsommer. Und in die 

Anonymität. Zu Hause kennt ihn jedes Kind, hängt in jedem Beamtenzimmer sein 

Bild. In Genf, wo er nie zuvor war, ist er irgendein afrikanischer Regierungschef,

dessen Namen sich die Journalisten auf einen Zettel schreiben, bevor sie ihn 

treffen: Blaise Compaoré, Präsident von Burkina Faso, ehemals Obervolta. 

Sie lieben ihn nicht in Afrika. Vor 20 Jahren kam Compaoré an die Macht, 

nachdem der damalige Staatschef Thomas Sankara, Held der Massen, erschossen 

worden war. In Burkina ist es ein offenes Geheimnis, dass vermutlich Compaoré, 

damals Justizminister, den Mord in Auftrag gab. Sankara hatte betont, dem Volk 

dienen zu wollen, nicht sich selbst. Zum Zeichen, dass es ihm ernst war, begnügte 

er sich mit einem Renault 5 als Dienstwagen. 

Heute lässt sich der Präsident wieder in schweren Limousinen durch die 

Hauptstadt fahren. 

In den guten Baumwolljahren hätte Compaoré die Gelegenheit gehabt, in seinem 

Land eine kleine Bekleidungsindustrie aufzubauen. Er hat sie verpasst. Über die 

Baumwollfirma Sofitex floss Geld in die Staatskasse. Von dort floss es weiter zu 

hohen Beamten und in hübsche Regierungsgebäude. Die einzige Textilfabrik des 

Landes ist vor ein paar Jahren Pleite gegangen. 

Dieser Mann, einst als Fallschirmjäger in Frankreich ausgebildet, betritt am 

10. Juni ein flaches, lang gezogenes Betongebäude direkt am Genfer See 

mit Blick auf verschneite Bergspitzen: den Sitz der Welthandelsorganisation 

WTO. Ihre 146 Mitgliedsstaaten entscheiden über die Regeln des Welthandels. 

Theoretisch sind sie sich einig. Jedes Land sollte seine Produkte ungehindert 

exportieren können. Praktisch sind die Entwicklungsländer auch nach Jahrzehnten 

des Konferierens und Verhandelns mit höheren Zollsätzen konfrontiert als die 

Industrienationen, die noch dazu ihre Landwirte mit jährlich 320 Milliarden Dollar 

subventionieren. Die Amerikaner schützen ihre Baumwoll-, Mais- und Sojafarmer, 

die Europäer ihre Milch- und Zuckerproduzenten, die Japaner ihre Reisbauern. 

In den vergangenen 20 Jahren konnten die Entwicklungsländer ihren Anteil 

am Weltmarkt für landwirtschaftliche Produkte nicht erhöhen. Eine Folge der 

Machtverhältnisse in der WTO. 

In dem grauen Haus spricht Compaoré vor Journalisten und vor allem vor dem 

Trade Negotiation Committee, einem Verhandlungsgremium der WTO. Er fordert 

die Abschaffung aller Baumwollsubventionen weltweit. Es ist das erste Mal, dass 

ein Staatschef vor diesem WTO-Komittee auftritt. 

Ein Dutzend afrikanischer Staaten und einige andere Drittwelt-Länder drücken 

ihre Unterstützung aus. Vier Wochen später schlägt sich auch die deutsche 

Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul auf die Seite der 

Westafrikaner. 

Inzwischen vermuten Handelsdiplomaten, bei der WTO-Konferenz im September 

in Cancún könnte die Baumwolle eine Rolle spielen. Womöglich würden die 

Amerikaner Zugeständnisse machen. Es werde wohl davon abhängen, wie stark 

sie von anderen Staaten unter Druck gesetzt würden.

In Ouagadougou aber sind die Blätter voll mit Berichten über die Reise des 

Präsidenten. Das Land ist beeindruckt von dem Auftritt bei der WTO. 

Compaoré hat an Ansehen gewonnen. So wie Bush sich mit der Farm Bill seinen 

Bauern andiente. Manchmal funktioniert die Politik nach denselben Regeln, egal 

ob in Erster oder Dritter Welt. Nur die Mittel unterscheiden sich. Der amerikanische 

Präsident legt Geld auf den Tisch, und der Rest der Welt kann ihn daran nicht 

hindern. Ein afrikanischer Präsident hält einen Appell und kann nur darauf hoffen, 

dass der Rest der Welt ihn unterstützt. 

ZEIT ONLINE 2003

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